„Ich wusste nicht, dass das Plastik ist“

Ein kleiner Erfahrungsbericht im Rahmen des Seminarfachunterrichts

von Mattea Klostermann (Klasse 13)

Die Fastenzeit. 40 Tage zwischen Fasching und Ostern, die auch immer mehr Menschen, die nicht den dem katholischen Glauben angehören, dazu nutzen, den Versuch zu wagen, ein oder vielleicht sogar gleich mehrere Alltagssünden kurzfristig aus dem Leben zu verbannen. Besonders hoch im Kurs liegen der Verzicht auf Süßigkeiten oder Alkohol. In den vergangenen Jahren gehörte auch ich zu diesen fastenden Nicht-Katholiken. Vor zwei Jahren, während meines Auslandsjahres in den USA, habe auch ich auf „Sweets in general“ verzichtet, äußerst sinnvoll inmitten von Starbucks, Dunkin‘ Donuts und Reese’s peanut butter cups. Eigentlich wollte ich dieses Jahr nicht fasten, der Ansporn und eine sinnvolle Idee fehlten. Süßigkeiten kamen nicht in Frage, weil ich nun mal bald Abi schreibe und jede Nervennahrung brauche, die ich kriegen kann, und auch das Fleisch-Fasten aus dem Vorjahr erschien mir angesichts der Tatsache, dass ich seitdem beinahe zur Vollzeit-Vegetarierin mutiert bin, wenig sinnvoll.
Doch dann wurden in der Schule Flyer verteilt. Eine Einladung zum gemeinsamen „Plastikfasten“. In der Schule soll diese Projektzeit den Schülern durch unterrichtsbegleitende, ergänzende Themenkomplexe oder das Bauen eines Müllfriedhofs das Thema Plastik und Konsum näher bringen. Die Familien werden dazu eingeladen, zu Hause auf „vermeidbaren Plastikmüll“ zu verzichten.
In der Vergangenheit haben wir, die Familie Klostermann, uns schon auf unterschiedlichste Weise mit dem immensen Plastikverbrauch auf der Welt und den damit einhergehenden Konsequenzen beschäftigt. Aber während wir in unserem Familienalltag schon immer bewusst auf diverse Dinge, wie zum Beispiel auf regionale und biologische Produkte, nicht zu viel Autofahren und akkurate Nutzung des Müll-Trennsystems („Mattea, warum hast du denn den Teebeutel in den Restmüll geworfen, der kommt in den Kompost.“) Wert gelegt haben, haben wir in Sachen Plastik bisher noch nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit auf unseren Konsum geachtet. Deshalb waren wir alle begeistert von diesem Anstoß, den wir durch das Projekt an der Schule bekamen. Auch mein 16-jähriger Bruder befand nach einer ersten „Ich feiere es eigentlich nicht so, auf Sachen zu verzichten, die ich gern mag“ -Phase, dass es doch „wichtig ist, dass jeder seinen Teil dazu beträgt, dass nicht die Umwelt komplett vermüllt wird“. Dieses Umdenken hat nach seinen eigenen Angaben tatsächlich die Präsentation von Dr. Frauke Baugusche verursacht, die den Schülern bei der „Kick-off“-Veranstaltung zum Plastikfasten sehr anschaulich von den riesigen Mengen Plastik in unseren Weltmeeren und den traurigen Konsequenzen berichtete. Motiviert und gespannt sind wir also in unsere „40-Tage-Challenge“, wie man die Fastenzeit ja vielleicht auch nennen könnte, denn Anglizismen werden ja immer beliebter, gestartet. Inzwischen nähern wir uns schon der Halbzeit und das habe ich als Anlass genommen, unsere Erfahrungen als plastikfastende, vierköpfige Familie zu schildern. Hierfür habe ich meine Eltern und meinen Bruder befragt und habe bestimmte Alltagssituationen besonders aufmerksam beobachtet.

Ordnung in der Vorratskammer
Schon vor Beginn des Plastikfastens stellte sich uns eine existenzielle Frage: Darf man Dinge aus dem Vorrat benutzen, die in Plastik verpackt sind, während man Plastik fastet? Also die man nicht während der Fastenzeit, sondern bereits vorher gekauft hat? Einerseits würde man diese Lebensmittel doch danach sowieso benutzen, die Verpackungen würden also NACH dem Plastikfasten wie bisher auch im Gelben Sack landen. Andererseits besteht die realistische Gefahr, dass man die verbrauchten Produkte nach dem Plastikfasten wieder nachkauft. Da wir in dieser Hinsicht keine Vorgabe oder Orientierungshilfe hatten, entschieden wir uns (der Bequemlichkeit halber) für ja, wir benutzen Produkte aus dem Vorrat. Zugegebenermaßen führte das dann in den letzten Tagen vor Beginn der Fastenzeit dazu, dass ich mich selbst dabei bei dem Gedanken „Oh, das muss ich jetzt schnell noch als Vorrat kaufen, bevor es zu spät ist“ ertappte. Aber gehört zum Fasten ein gewisser Ermessensspielraum nicht irgendwie dazu? Wenn ich dann nochmal auf meine bisherige Fastenerfahrung zurückblicke, so erinnere ich mich daran, dass ich damals trotz Süßigkeiten-Fasten weiterhin Erdnussbutter gegessen habe, weil „Erdnüsse ja gesund sind“. Nun ja, für uns hatte die Auslegung sowohl einen positiven als auch einen negativen Effekt auf unsere Erfahrung als Plastikfaster. Wegen der Nutzung von Vorratsprodukten wurde unsere Gelbe-Säcke-Bilanz bei der ersten Abholung nicht ungemein geschmälert. Aber dafür ist vor allem meine Mutter durchaus begeistert davon, dass unsere Vorratskammer wieder übersichtlicher wird.

Die Milch
„Milch macht müde Männer munter“: dieser Werbeslogan der westdeutschen Milchwirtschaft entstand in den 1950er Jahren und ist bis heute den meisten geläufig. Was möglicherweise auch damit zusammenhängt, dass es gerne als Beispiel für eine Alliteration im Deutschunterricht genutzt wird. Dank des Plastikfastens habe ich feststellen können, dass an dem Spruch sehr wohl etwas dran ist. So bewahrheitete sich dieser Slogan für meinen Bruder, als er früh am Morgen feststellen musste, dass im Kühlschrank nun statt seiner präferierten fettarmen Milch nun Vollmilch in Glasflaschen stand. Die Aufregung darüber ließ nicht nur ihn ganz schnell munter werden. Das ständige Tragen von Milch und Jogurt in Glasbehältern in den zweiten Stock macht sogar müde und munter. Wow. Ja, man kann schon sagen, dass das Plastikfasten uns schon diverse Erkenntnisse gebracht hat. So durfte mein Vater vor ein paar Tagen von uns lernen, dass Plastiknetze, in denen so oft leckeres Obst verpackt ist, tatsächlich aus Plastik bestehen und nicht aus „irgendwelchen Fasern“. Hier muss jedoch gesagt werden, dass ich die angebliche Ahnungslosigkeit sehr wohl hinterfrage und hinter diesem Fehlkauf eher eine Orangenkauflust vermute, die ihn übermannt hat. Kann ja mal passieren, denn Plastikfasten ist durchaus eine Herausforderung. Auf die Frage nach den größten Schwierigkeiten bekam ich unterschiedliche Antworten. Während mein Bruder „Toast und Putenaufschnitt“ vermisst, haben meine Eltern festgestellt, dass es das Lebensmittel-Budget doch stärker belastet als vielleicht vorher erwartet. Die Milch aus den Mehrweg-Glasflaschen ist leider um etwa 50 Prozent teurer als im Tetrapak.

Der Samstagseinkauf
Ende der Woche. Der Kühlschrank gibt nur noch wenig her und deshalb machen wir uns mit diversen Tupperdosen und Stoffbeuteln bewaffnet auf den Weg in die Stadt. Erster Stopp: Der Markt an der Saarbrücker Ludwigskirche. An diesem Samstag sind weniger Stände da als üblich, was möglicherweise mit der weißen Schneeschicht zusammenhängt, die sich am Vortag sensationell über Saarbrücken gelegt hatte. Als erstes steuern wir den Brotstand an. Hier gibt es kein Problem. Das Walnussbrot wird uns in eine Papiertüte gepackt. Weiter geht es zum Metzgerstand. Am Sonntag soll es Fleisch geben und es muss ja auch an den armen Teenager gedacht werden, der zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich noch schläft. Hier gibt es eine erste Schwierigkeit. Während meine Eltern eins dieser netten Markt-Small-Talk-Gespräche mit einer entfernten Bekannten führen, hat die Verkäuferin die Rouladen schon blitzschnell in eine Plastiktüte verfrachtet. Da gibt es jetzt kein Zurück mehr. Naja das „hätte man sowieso nicht gut in ne Dose bekommen“. Doch jetzt sind wir wieder voll bei der Sache und können gerade noch so verhindern, dass uns der Gesamteinkauf auch noch in eine Plastiktüte gepackt wird. Stoffbeutel Nummer eins kommt zum Einsatz. Dann kommen wir zum Gemüse. Wir entscheiden uns für Rosenkohl, Kartoffeln, Rotkohl und Äpfel aus der Region. Wir stehen also am Stand, haben den Rosenkohl bestellt und lassen den Blick schon über den Stand schweifen, Ausschau haltend nach dem nächsten Gemüse der Begierde. Doch Halt! Gerade noch rechtzeitig bemerke ich, dass die Verkäuferin die Plastiktüte aufhält, um sie mit Rosenkohl zu befüllen. Ich interveniere sofort und frage die Verkäuferin, ob sie nicht auch die Papiertüte benutzen kann, die direkt daneben hängt. Jetzt ist auch meine Mama wieder mit ganzer Aufmerksamkeit beim Rosenkohl und hält der Verkäuferin Stoffbeutel Nummer zwei hin und erklärt, dass wir auf Plastik verzichten. Verständnisvoll ist anders, aber auch die weiteren Bestellungen werden in Stoffbeutel gefüllt. Das erfordert durchaus höchste Konzentration und ein gewisses Organisationstalent, immer genau den richtigen Stoffbeutel anzureichen. Schließlich will man ja nicht die Äpfel zum Fleisch stecken. Letzter Stopp auf dem Markt ist der italienische Spezialitätenstand. Hier kommen dann auch endlich die mitgebrachten Tupperdosen zum Einsatz und der Aufwand wird belohnt, denn während die Verkäuferin den Käse in die Dosen füllt, erzählt sie uns, wie toll sie es findet, dass wir versuchen, auf Plastik zu verzichten. Und sie sagt so etwas wie „Ja, wenn jeder so ein bisschen was macht, wäre es schon ganz anders auf der Welt“. Wir freuen uns über die erste positive Reaktion am heutigen Tag und verlassen mit unseren Stoffbeuteln den Markt. Fazit: Der Markt ist wie vor vielen 100 Jahren noch immer ein sozialer Treffpunkt und nicht nur deshalb lohnenswert. Großes Angebot und frische Produkte findet man auf jeden Fall. Für die Plastikfastenden unter uns: Viele Stoffbeutel, Tupperdosen und besonders hohe Aufmerksamkeit sind am Marktstand unverzichtbar.
Danach geht es weiter zum „Friedel“, ein Konzept-Supermarkt des Globus-Konzerns, den man in der Saarbrücker Halbergstraße, gegenüber von Aldi, Lidl und der AOK gar nicht unbedingt erwarten würde. Hier treffen Smoothies, die bestimmt auch wegen ihrer tollen Namen so viel kosten, Sushi zum Mitnehmen und die Alnatura-Produkte, die wir alle bei DM schmerzlichst vermissen, aufeinander. Aber auch hier ist vieles, was lecker aussieht und bestimmt auch schmeckt, in Plastik verpackt. Beim Anblick einer Tüte Rosmarin-Chips geht es dann mit mir durch und ich sage so ganz nebenbei „Man muss es ja auch nicht übertreiben mit dem Plastikfasten, man kann ja auch mal Ausnahmen machen.“ Doch meine Mutter schüttelt nur den Kopf und die Chips bleiben im Regal. Aber bei so viel Verzicht muss man sich ja auch mal was gönnen und so steht am Ende auch eine dieser in Pappe verpackten, sündhaft teuren Eissorten der beiden Freunde aus den USA mit an der Kasse.
Nächster Stopp an diesem Samstag: Der Unverpackt-Laden im Nauwieser Viertel. Für mich ist es das zweite, für meine Eltern das erste Mal in dem Laden. Wir sind zwar begeistert von dem Konzept und der großen Auswahl, müssen aber auch feststellen, dass es für vier Leute, die zusammen einen hohen Müsli-Verbrauch haben, sehr viel teurer ist. Trotzdem füllen wir eine Dose mit einem Nuss-Müsli und informieren uns noch über die Shampoo-Seife. Meine Mutter und ich sind uns einig: Wenn unsere Shampoo-Plastikflaschen nichts mehr hergeben, wollen wir das bestimmt mal ausprobieren. Der letzte Stopp an diesem Einkaufstag ist Netto-Markendiscount. Eigentlich nur um Getränkekisten zurückzubringen, aber als mein Papa aus dem Laden zurückkommt, hat er sich doch noch etwas Schönes mitgebracht. Als Ersatz für seinen heiß geliebten Räucherlachs, der in Plastik verschweißt ist, hat er sich ein Glas mit Rollmöpsen gekauft.

Fazit
Auch wenn ich unsere Erfahrungen mit dem Plastikfasten in meinem kleinen Bericht eher humoristisch als seriös behandelt habe, so hat es natürlich einen Hintergrund, den ich hier auch nicht unerwähnt lassen möchte. Denn wir beteiligen uns natürlich nicht an der Aktion, weil wir auf der dringenden Suche nach einer vor-österlichen Herausforderung waren. Ich möchte an dieser Stelle nochmals aus dem Projekt-Flyer zitieren: Im Wasser benötigt Plastik hunderte von Jahren, bis es verrottet und zehn Millionen Tonnen Plastikmüll gelangen jedes Jahr in die Meere. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass unsere wenigen Gelben Säcke, die wir während der Fastenzeit eingespart haben werden, in der weltweiten Bilanz auch mit einer Lupe nicht auszumachen wären. Aber trotzdem finde ich es sehr wertvoll, dass es das Projekt gibt. Denn es geht doch darum, immer und immer wieder auf das Thema aufmerksam zu machen. Natürlich habe ich mich auch gefragt, was bleibt. Was bleibt, wenn die Fastenzeit vorbei ist? Was nehmen wir mit? Ich habe mit meiner Familie gesprochen und wir sind und einig, dass es unrealistisch ist, zu denken, dass wir danach genauso konsequent auf Plastik verzichten werden. Aber wir haben ein Bewusstsein entwickelt, haben Alternativen kennengelernt und sind uns sicher, dass wir mit dieser Grundlage auch in der Zukunft bewusster durch den Samstagseinkauf zu gehen. Mein Bruder hat gesagt: „Es ist allein auch ein Zeichen für die Mitmenschen, dass man selber darauf verzichten kann und das andere es dann auch können.“
Für uns werden die verbleibenden Wochen des Plastikfastens sicherlich spannend, denn vor Ostern gilt es noch eine Geburtstagsfeier zu organisieren, für einen Urlaub einzukaufen und die Vorräte werden doch auch immer kleiner. Wir werden sehen, wann wir an unsere Grenzen stoßen.