Themen meiner Heimat

VOM UMGANG MIT FLÜCHTLINGEN

von Lena S., Schülerin der 10. Klasse

Wer in einem Land lebt, das Krieg führt, schlimme Gewalt erlebt und täglich um sein Leben fürchten muss, der träumt von Sicherheit, Geborgenheit und Frieden. Dieser Wunsch treibt die Menschen in Krisenländern dazu, ihr Heimatland zu verlassen, denn in ein sicheres Land zu flüchten, ist für viele die einzige bleibende Überlebenschance. Doch auch diese Reise ist sehr gefährlich. Die EU-Gesetze erschweren den Menschen in Not die Reise noch mehr. Wer es dennoch schafft, merkt recht schnell, wie wenig willkommen er in dem fremden Land ist. Aber warum? Warum weigern sich Menschen in Deutschland Flüchtlinge aufzunehmen? Was befürchten sie? Wo liegen die Probleme?

In vielen Ländern herrschen zurzeit Bürgerkrieg, schlimme Armut, Hungersnot und menschenunwürdige Zustände. Dazu gehören arabische Länder wie Syrien oder Afghanistan und afrikanische Staaten, aber auch östliche Gebiete, zum Beispiel der Kaukasus. Die Folgen von Angst und Not sind große Flüchtlingsströme. Für Flüchtlinge aus Afrika führt der einzige Weg nach Europa über das Mittelmeer. Bereits 2012 wagten dies weit über 20.000 Menschen. Diese Reise geht für viele tödlich aus, denn die Boote der Schlepper sind nicht seetauglich, werden überladen und es gibt kaum Verpflegung und Wasser. Auch Rettungsboote oder Schwimmwesten sind oft nicht vorhanden. Da die aus armen Verhältnissen kommenden Flüchtlinge oft nicht schwimmen können, sind sie beim Kentern des Schiffes auf offener See völlig hilflos. In einer solchen Situation können sie auch nicht auf Hilfe anderer Schiffe hoffen, denn diese ignorieren häufig Flüchtlingsboote. Sie haben Angst, dass sie als Schlepper angezeigt werden und ihr Schiff vom Staat beschlagnahmt wird, wenn sie die Menschen aufs europäische Festland bringen. Dies jedoch verstößt gegen das internationale Seerecht, denn wer ein anderes Schiff in Seenot sieht, ist verpflichtet ihm zu helfen.
Das Risiko, Europa nicht lebend zu erreichen, ist also sehr hoch. Schafft es ein Flüchtlingsboot in den Hafen einer der Inseln wie Malta oder gelangt es an die Küste Italiens, werden die von der Fahrt unterernährten und oft kranken Menschen vorläufig ins Gefängnis gebracht oder nach dem Registrieren des Fingerabdrucks auf der Straße ausgesetzt und sind auf sich selbst gestellt. Oft sind die vorhandenen Notunterkünfte und Flüchtlingslager schon überfüllt. Die hilflosen, häufig von der Reise traumatisierten Menschen haben dort keine Privatsphäre und leben mit über 500 anderen auf engstem Raum. Dazu kommt, dass Flüchtlinge keinerlei Rechte haben. Sie dürfen nicht arbeiten und Geld verdienen und können nur abwarten, ob sie vom Staat ausgewiesen werden oder vorläufig bleiben dürfen.
Die EU-Verordnung Dublin II besagt, dass ein Flüchtling in dem Land bleiben muss, in dem er zum ersten Mal Europa betritt. Wer jedoch beispielsweise von Italien weiter nach Deutschland flieht, riskiert in sein Ankunfstland zurückgeschickt zu werden. Manche haben allerdings das Glück aus den überfüllten Lagern herauszukommen und werden in einem anderen Land aufgenommen. Bei uns in Deutschland wird die Verteilung der ankommenden Flüchtlinge auf die 16 Bundesländer durch den „Königsteiner Schlüssel“ festgelegt. Dabei kommt es auf die Einwohnerzahl, aber auch auf die Steuereinnahmen des Landes an. Somit muss Bayern zurzeit die meisten Flüchtlinge versorgen. Über 18.000 Menschen kamen allein 2013 nach Bayern. In den Asylbewerberheimen in Deutschland werden die Neuankömmlinge betreut und beraten. Sie haben teilweise sogar eigene Zimmer und werden gut versorgt. Andere haben es nicht so gut. Flüchtlingsgruppen, die kleinen Orten zugeteilt werden, müssen oft mit Notunterkünften und Erstaufnahmelagern in Turnhallen, ausgedienten Gebäuden oder Containern vorlieb nehmen. Dort können sie monatelang nichts tun, haben in der Regel keine Kontakte zu Einheimischen und warten auf Hilfe und bessere Unterkünfte.
Das Lager in Lebach ist das einzige hier im Saarland. Dort wohnen ca. 1000 Menschen, verteilt auf über 50 Gebäude der alten Kaserne. Bäder und Küchen müssen sie sich teilen. Ein- bis zweimal wöchentlich werden Lebensmittelpakete an die Flüchtlinge verteilt. Die Zustände im Heim sind unhygienisch, es ist verschmutzt, viel zu eng und auch die ärztliche Versorgung ist sehr schlecht. Organisationen wie der saarländische Flüchtlingsrat setzen sich für bessere Umstände ein.
Wer in Deutschland bleiben möchte, muss Asyl beantragen. Er bekommt dann eine Aufenthaltsgenehmigung, bis über seinen Antrag entschieden wird. Der Asylbewerber kann im Idealfall seine Gründe für seine Flucht in einem Gespräch mit einem Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge darlegen, der dann abwägen kann und über den Asylantrag entscheidet. Dabei haben politisch Verfolgte bessere Chancen als Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen geflohen sind oder keine Beweise vorlegen können. Oft wird allerdings nur auf Grundlage der Akte entschieden, denn im September 2013 soll es laut der ZEIT 85.325 Asylanträge in Deutschland gegeben haben und das Bundesamt ist auf Grund des fehlenden Personals mit einer solchen Anzahl überfordert. Auch die Unterkunfts- und Wohnungssuche ist keine leichte Aufgabe für die zuständigen Behörden. In den meisten Bundesländern stehen derzeit jedem volljährigen Flüchtling 354€ pro Monat für Essen, Kleidung usw. zur Verfügung. Diese Summe orientiert sich am Hartz IV- Bezug. In Bayern und auch im Saarland bekommen sie allerdings nach dem sogenannten Sachleistungsprinzip nur Essenspakete, Secondhandwaren und Gutscheine anstatt Bargeld. Wenn der Staat versagt, bleibt den hilflosen Menschen nur die Unterstützung von Freiwilligen und Ehrenamtlichen. Die von der Flucht oder dem Krieg oft traumatisierten Menschen brauchen neben materieller Unterstützung aber vor allem Zuwendung und psychologische Hilfe.
Europäische Länder versuchen schon lange die Flüchtlinge mit der schlechten Versorgung, vollen Lagern und wenig Unterstützung abzuschrecken. Regeln wie die Residenzpflicht, welche vorschreibt, in welchem Umkreis Flüchtlinge sich aufhalten und von ihrer Unterkunft entfernen dürfen, beschränken die Asylbewerber zusätzlich.
Die hohen Zahlen der Opfer bei Seeunglücken, die vielen Asylanträge und die überfüllten Unterkünfte bestätigen aber, dass das Abschreckungsmanöver nicht funktioniert. Die Flüchtlinge kommen trotzdem.
Nach einer Katastrophe vor Lampedusa im September 2013, bei der mehrere hundert Flüchtlinge kenterten und im Meer ertranken, wurde an der Asylpolitik und der EU-Grenzschutzagentur Frontex viel kritisiert und die EU-Politiker zeigten erste Reaktionen etwas an der Asylpolitik zu ändern. Doch je weniger die Medien davon berichteten, desto mehr verschwanden auch das Interesse und die Dringlichkeit das Problem zu ändern. Das Sterben im Mittelmeer geht weiter. Statt zu helfen, wehren sich die Staaten Europas gegen die Flüchtlingsströme aus Angst vor zu großen Kosten und schotten sich ab.
Auch die Reaktionen der Bevölkerung und der Umgang mit Flüchtlingen zeigen, dass diese nicht willkommen sind. Gemeinden, in denen neue Unterkünfte eröffnet werden sollen, wehren sich dagegen und protestieren. Viele Bewohner erzählen, sie hätten Angst vor Kriminalität, trauten sich nicht mehr in die Nähe der Lager und wollten nicht, dass ihre Kinder draußen spielen. Dazu kommt, dass manche befürchten ihr Haus und Besitz würde an Wert verlieren, wenn leerstehende Gebäude als Flüchtlingsheime genutzt werden. Sie sehen also auch ein finanzielles Problem bei der Sache. Die Bewohner distanzieren sich von den Fremden, das Ungewisse und Neue weckt Befürchtungen. Integration kommt für sie gar nicht erst in Frage. Nur wenige zeigen sich hilfsbereit, wollen die Flüchtlinge kennenlernen und trauen sich auf sie zuzugehen. Genau das ist es, was sich diese fremden Menschen auch wünschen. Aus Interviews mit Flüchtlingen kann man entnehmen, dass sie nicht verstehen, warum Deutsche so abweisend sind, sie diese gerne näher kennenlernen würden, aber das meistens nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Ein afghanischer Asylbewerber stellte in einem Interview der ZEIT fest, dass man den Deutschen ein bisschen Dankbarkeit zeigen müsste. Das interpretierte er aus der Reaktion anderer am Gespräch Beteiligter, welche der Meinung waren, die Flüchtlinge würden ihre Aufnahme in Deutschland nicht schätzen.
Die nicht direkt betroffene Bevölkerung in Deutschland bekommt oft nur die kritischen Nachrichten, Informationen über schlimme Einzelfälle von Kriminalität, liest und hört von Protesten, von Gewalt und von den Klagen der Betroffenen. So zieht sie viele negative Schlüsse aus den Medien und sobald ein schlimmes Ereignis wie das vor Lampedusa eine Weile her ist, sind die Empörung über Asylpolitik und das Mitleid mit den Flüchtlingen schnell wieder verschwunden. Das könnte auch an der Emotionslosigkeit der Politik und den abstrakten Zahlen liegen. Mit ihnen kann man oft nichts anfangen, sie erscheinen uns absurd und unvorstellbar, es berührt uns nicht. In Statistiken werden Gefühle komplett ausgeblendet. Erst wenn man eigene Erfahrungen macht, Berichte von Flüchtlingen liest, von Einzelschicksalen erfährt und sich klar macht, was das für einen selbst bedeutet, kommt man dem eigentlichen Problem näher. Wie viel von mir selbst kann ich geben und für Menschen in Not opfern? Inwiefern bin ich für die vielen Flüchtlingsopfer mitverantwortlich? Wozu bin ich bereit? Es handelt sich um eine Gewissensfrage.
Bei den Betroffenen in den kleinen Gemeinden fehlt es laut Experten vor allem an Kommunikation zwischen Staat und Bürgern. Sie vermuten, dass die Nachbarn von Flüchtlingslagern weniger Angst hätten und anders reagieren würden, wenn sie besser Bescheid wüssten. Alle wären dadurch offener.
Die Politik sollte sich auch mehr dafür einsetzen, dass es den Menschen aus Krisenländern vor Ort besser ginge. Man müsste dort helfen, anstatt die Grenzen zu verschärfen oder komplizierte Regeln und Gesetze zu verordnen um die Flüchtlinge abzuschrecken. Wir Europäer töten Menschen, indem wir sie ertrinken lassen, an den Grenzen zurückweisen und sie dem Krieg in ihrem Land hilflos aussetzen. Es ist nicht einfach, all die Probleme zu ändern und sich für bessere Lösungen einzusetzen. Aus ethischer und humaner Sicht ist es aber dringend notwendig, dafür Verantwortung zu übernehmen.

Quellen:
Pro Asyl (www.proasyl.de)
Artikel aus DIE ZEIT + ZEIT ONLINE (Titel: „Neue Heimat gesucht“, „Mitgefühl, keine Mitleid“, „Einwanderung für Fortgeschrittene“, Interview: „Was machen die den ganzen Tag?“,
Süddeutsche Zeitung (Titel: „Willkommen in der Kälte“, „Gefährlich überfordert“, „Im Fall Syrien hat Europa längst nicht genug getan“, „Rettet unsere Seelen“, „Tochter was sagst du da?“, „Seeretter in Not“)
BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge)
www.asyl-saar.de der Internetseite vom saarländischen Flüchtlingsrat

Anmerkung: Dies ist ein Projekt in den Fächern Deutsch und Ethik. Wer sich noch mehr für das Thema interessiert, gerne die gesammelten Zeitungsartikel lesen oder genauere Quellen erfahren möchte, kann sich gerne bei mir melden. Die Internetseiten von Pro Asyl und der BAMF sind übrigens auch sehr informativ. Gute Kontakte zu Flüchtlingen hat der saarländische Flüchtlingsrat.

Landesaufnahmestelle Lebach

von Lena S., Schülerin der 10. Klasse

„Salam aleikum!“, ruft ein dunkelhäutiger, einfach gekleideter Mann von der anderen Straßenseite. Die Menschen gehen eilig ihre Wege. Ihre neugierigen Blicke sind flüchtig und wirken schüchtern. Manche tragen volle Einkaufstaschen mit sich. Vereinzelt fährt ein Auto die nasse Straße entlang. Große, überquellende Müllcontainer reihen sich an deren Rand. Ein paar Kinder spielen zusammen am Bürgersteig und auf der matschigen Wiese. Der Nieselregen scheint sie nicht zu stören. Die Stimmung wirkt bedrückend. Endlich finden wir das Haus mit der Nummer sechs. Es sieht aus wie alle anderen hier: zwei Stockwerke, einfache Fenster, die Fassaden schmutzig weiß, der Putz blättert ab. Die in verschiedenen Farben gestrichenen Balkone, die mit Wäscheleinen und löchrigen Planen zugehängt sind, sehen ebenfalls renovierungsbedürftig aus. Auf einem kleinen Schild steht „Diakonisches Werk an der Saar“. Eines der drei Hilfswerke hier. Hinter dem Eingang ist ein dunkles Treppenhaus. Auch hier sieht es nicht sehr einladend aus. An einer weiteren Tür hängen Öffnungszeiten, darüber steht „Abteilung für offene soziale Arbeit“. Ich klopfe. Frau Lüdeke-Braun öffnet und bittet herein.
„Flüchtlingslager Lebach“ so wird die Landesaufnahmestelle oft genannt. Doch ein Lager ist es nicht. Eher ein Wohnviertel: Viele Mehrfamilienhäuser, ein paar Büros, darunter das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Verwaltung und die zentrale Ausländerbehörde sind hier untergebracht. Viel interessanter sind jedoch die Menschen, die hier leben. Menschen, die hier leben, weil sie vertrieben wurden oder geflohen sind. Momentan wohnen hier ca. 1300 Flüchtlinge und Vertriebene. Sie warten auf die Entscheidung über ihr Asylverfahren oder haben nach einem negativ ausgefallenen Asylantrag eine Duldung ohne zeitliche Begrenzung erhalten. Neben den Staatenlosen und Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit befinden sich hier Asylsuchende aus Afghanistan, dem Irak und Iran, Algerien, Serbien, der Türkei und dem Kosovo. Viele von ihnen wurden an der deutschen Grenze, an Bahnhöfen oder Flughäfen von der Polizei aufgegriffen und hierher gebracht. Andere melden sich von sich aus bei der Verwaltung. Doch der Platz ist eng und die Wohnplätze beschränkt, wenn schon der Ehepartner oder ein minderjähriges Kind hier wohnt, ist die Aufnahme gesichert. Unbegleitete Minderjährige, die neu einreisen, kommen in Völklingen-Heidstock im „Clearinghaus“ unter. Hat jemand ein anderes Herkunftsland als die oben aufgezählten, wird er direkt einem anderen Bundesland zugewiesen.
Für die Asylbewerber und Geduldeten sind vor Ort neben den staatlichen Verwaltungs- und Organisationsbehörden im direkten Kontakt die Hilfswerke Rotes Kreuz, die Caritas und das diakonische Werk zuständig. Mitarbeiter betreuen und beraten die Bewohner in ihrem Alltag. Auch die Kinder werden berücksichtigt. Die Caritas und das Rote Kreuz bieten zum Beispiel Hausaufgabenhilfe an. Denn die minderjährigen Migranten, die in der Aufnahmestelle wohnen, sind schulpflichtig. Ist ein Platz frei, können Kleinkinder auch im Kindergarten oder Kinderhort untergebracht werden. Das diakonische Werk leitet eine Frauengruppe, organisiert Sprachkurse und hat täglich Sprechstunden für Bewohner, die Probleme, Konflikte oder Organisatorisches zu besprechen haben.
Am Nachmittag des 23.1.14 traf ich mich mit Frau Lüdeke-Braun (Abteilung für offene soziale Arbeit) um meine vielen Fragen stellen zu können. Sie kümmert sich zusammen mit Kollegen um die Probleme und Anliegen der Flüchtlinge, spricht mit ihnen, organisiert und vermittelt für sie. Wir hatten uns zu einem Interview in ihrem Büro verabredet. Es ist klein, voll mit Büchern und Unterlagen, aber gemütlich und man fühlt sich beim Eintritt sofort geborgen und verstanden. Ich wollte mir einen eigenen Eindruck verschaffen, um mir ein besseres Bild der Lage und des Problems machen zu können, wollte all die Vorurteile klären und mir eine eigene Meinung bilden. Schon im Voraus hatte ich mich viel mit dem Thema Einwanderung und Flüchtlinge beschäftigt. Die Idee und mein Interesse entstanden in Zusammenhang mit dem Schulwettbewerb „Trialog der Kulturen“, an dem sich unsere Schule beteiligt.
Bei meinem Besuch machten wir nach dem Interview einen kleinen Rundgang, bei dem ich die Räumlichkeiten und das Gelände gezeigt bekam. Vorbei am Spielplatz und an Parkplätzen gingen wir zu einem Haus, in dem sich Gruppenräume befinden. Die Frauengruppe des diakonischen Werkes hatte in einem schmalen Raum gerade Deutsch-Sprachkurs. Frauen aus verschiedenen Ländern und in allen Altersgruppen saßen an einem langen Tisch zusammen und lernten mithilfe einer vom diakonischen Werk angestellten Honorarkraft. Sie empfingen uns freundlich, aber auch schüchtern. An Frau Lüdeke-Braun hatten sie viele Fragen, oftmals musste sie betonen, dass die Frauen mit ihren Anliegen zu den Sprechzeiten ins Büro kommen sollten. Sie sprach Deutsch und Englisch zu ihnen und wirkte ziemlich streng, aber dennoch höflich. Anschließend zeigte sie mir die verschiedenen Büros, Wohnhäuser, die Sanitäranlagen und den Standort der Verwaltung sowie die Lebensmittelpaketausgabe. Im Saarland wird nämlich noch die alte Regelung des Sachleistungsprinzips durchgeführt. Die Bewohner erhalten Lebensmittel und Hygienebeutel anstatt Geld, Gutscheine für Kleidung und Schuhe. Auf die Frage nach dem Grund antwortet Frau Lüdeke-Braun: “Damit will man Flüchtlings sanktionieren und, wie behauptet wird, keine Anreize zur Einreise nach Deutschland schaffen. Wir denken auch, dass Barleistungen insgesamt billiger für den Staat wären, können es aber nicht belegen.“ Bei Verweigerung der Essenspakete gibt es keine Kompromisse. Laut der Verwaltung ist es das Problem des Verweigerers, wenn er die Lebensmittel nicht annehmen möchte. „Die Regelung des Landes zur Versorgung ist klar. Es ist nicht geplant, davon abzuweichen“, erklärt die Mitarbeiterin des diakonischen Werkes.
Ein anderer Mangel sind hier die sanitären Einrichtungen. Die zentralen Duschen sind nur zu bestimmten Zeiten geöffnet. In den normalen Wohneinheiten gibt es nur Toiletten und Waschbecken. Einige wenige Wohneinheiten haben richtige Bäder. Sie sind jedoch nur für Menschen mit einer Krankheit oder Behinderung vorgesehen, die diese auch nachweisen können. Wer arbeiten geht, muss sich in seiner Hygiene stark einschränken, dazu kommt, dass das Gemeinschaftsbad wenig zentral gelegen ist, die Bewohner also weite Strecken zurücklegen müssen. Das ist eine echte Zumutung für die Bewohner, die schon seit mehr als zehn Jahren in Lebach wohnen müssen. Die Regelung der Öffnungszeiten orientiert sich an der Personalkapazität der Verwaltung, dazu kommt, dass die Duschen von BewohnerInnen, die gemeinnützig dort arbeiten, gereinigt und kontrolliert werden. „Gemeinnützige Arbeit ist nur in einem bestimmten Rahmen möglich“, ergänzt Frau Lüdeke-Braun.
Bei der Aufnahme erhält jeder neue Bewohner eine gewisse Erstausstattung, einen Schlafplatz und die schon erwähnten Lebensmittel- und Hygienepakete. Die Zimmer teilen sich die Bewohner meist zu dritt oder zu viert oder mit ihrer Familie. In den Häusern gibt es auf allen Fluren jeweils eine gemeinsame Küche. Für die ersten neun Aufenthaltsmonate gilt ein Arbeitsverbot. Da es nur wenige Beschäftigungsmöglichkeiten gibt und das Geld dazu fehlt, ist Langeweile ein großes Problem. Während eines Asylverfahrens haben die Migranten keinen Zugriff auf öffentliche Gelder. Auch die Sprachkurse werden nicht vom Staat finanziert. Eine Möglichkeit ist die gemeinnützige Arbeit in der Aufnahmestelle. Gebraucht werden oft Freiwillige, die beim Dolmetschen helfen können und somit anderen Flüchtlingen beim Vermitteln und Organisieren behilflich sind. Dolmetscher von außerhalb zu finanzieren, ist nicht möglich. Nach vier Jahren ist es jedem Bewohner freigestellt, wo er arbeiten möchte, die Arbeitsplatzsuche ist jedoch für einen nichtabgesicherten Migranten mit wenigen Sprachkenntnissen sehr schwer. Somit können sich nur wenige Flüchtlinge Geld dazuverdienen und sind auf die Sachleistungen vom Staat angewiesen.
Bei so engem Wohnraum und wenig Privatsphäre kommt es, wie Frau Lüdeke-Braun erzählt, auch öfter zu Konflikten unter den Bewohnern. Auslöser sind nicht nur alltägliche Unstimmigkeiten, sondern auch Auseinandersetzungen wegen Religionen, politischen Meinungen oder der Herkunft. Man muss bedenken, dass Menschen aus verschiedensten Kulturen der Welt und unterschiedlichsten Religionen zusammentreffen und auf engstem Raum leben müssen. In der Verwaltung in Lebach sind für schlimmere Streitigkeiten immer zwei Polizisten einsatzbereit, um Gewalt zu verhindern. Kleinere Diskussionen werden mit Hilfe von Beratern wie Frau Lüdeke-Braun geklärt.
Medizinisch versorgt werden die Bewohner der Aufnahmestelle von den ortsansässigen Hausärzten. Es gibt keine interne Behandlungspraxis für Flüchtlinge in Lebach. Pro Quartal erhalten die Bewohner und Bewohnerinnen einen Krankenbehandlungsschein, mit dem sie so oft wie notwendig den Hausarzt, dem sie den Schein abgegeben haben, besuchen können. Bei Bedarf stellt dieser dann auch die Überweisung zu einem Facharzt aus.
Im Falle einer Abschiebung, also eines negativen Asylverfahrens, werden die Flüchtlinge wieder per Flugzeug in ihr Heimatland oder nach der Dublin III-Verordnung in ihr Erstankunftsland in Europa geschickt. Dies geschieht mit Ankündigung und einem Fristdatum zur Abreise. Bei Verweigerung werden sie von der Polizei jedoch unfreiwillig abgeschoben.
Doch auch wenn jemand seine Aufenthaltserlaubnis bekommt, steht er vor einer Schwierigkeit. Denn bei der Wohnungssuche werden Migranten häufig benachteiligt. Es fehlt nicht nur der Platz in den bevorzugten Gegenden und Städten, sondern auch der Mietpreis ist ein Problem. Die Vermieter haben oft wenig Vertrauen in Ausländer. Für diese ist es also sehr kompliziert, wieder ins richtige Leben einzusteigen und sich zu integrieren. Viele scheitern an diesen Herausforderungen. Man kann allerdings auch feststellen, dass in Deutschland minderjährige Migranten mehr unterstützt und gefördert werden als ältere, was an der Nachfrage von jungen, gut ausgebildeten Arbeitern liegen könnte. Die ältere Generation ist für den Staat dagegen eher eine finanzielle Last. Demzufolge hat sie es auch viel schwerer, ein neues und selbstständiges Leben in Deutschland aufzubauen.
In den Medien wird die Aufnahmestelle Lebach ausnahmslos negativ dargestellt. Oft fallen Umschreibungen wie „nicht zumutbar“ oder „menschenunwürdig“. Die Angebote und Unterstützungen der Hilfswerke werden so gut wie nie erwähnt. So entstehen bei den Lesern Vorurteile und schlechte Eindrücke. Kritisch gesehen werden vor allem die Lebensmittelpakete, die unzureichende medizinisch-psychologische Versorgung, das Platz- und Wohnungsproblem sowie die deshalb mangelnde Privatsphäre. Auch der Umgang der Ausländerbehörde mit den Bewohnern sorgt für Empörung. So auch nach einem Vorfall Anfang 2013, als einer Familie der Strom abgestellt wurde, weil sie der Forderung der Verwaltung getrotzt haben. Ebenfalls gab es kurze Zeit später viel Kritik an der gegründeten Flüchtlingskommission des Innenministeriums wegen einer manipulierten Aussage, die die Umzüge der Bewohner in eigene Wohnungen betraf. Die meisten Beschwerden kommen vom saarländischen Flüchtlingsrat. Dieser fordert schon seit mehreren Jahren die Schließung der Aufnahmestelle und das Ende anderer Mängel wie das Sachleistungsprinzip. Außerdem fordert der Rat das Reduzieren der Aufenthaltsdauer, setzt sich für eigene Wohnungen ein und kämpft für mehr Gerechtigkeit. Seiner Meinung nach ist eine humane Flüchtlingspolitik nicht ohne die Schließung der Aufnahmezentrale möglich. Doch trotz der vielen Proteste, Anfragen und Forderungen verändert sich nichts an der Lage. Für die gewünschte Schließung bestehen zurzeit allerdings auch keine umsetzbaren Vorschläge für Alternativen. Nach dem Asylverfahrensgesetz ist pro Bundesland eine Erstaufnahmeeinrichtung für die Unterbringung von Asylbewerbern bis zu max. drei Monaten Pflicht. Die Schließung ist demnach kein Thema im Innenministerium. Die Regierung plant jedoch für 2014 einen „Heim-TÜV“, der die Aufnahmestellen überprüfen soll. Auf die Frage, was Frau Lüdeke-Braun von dieser Kontrolle halte, antwortet sie: „Wir hoffen, dass damit die schwierigen Lebensbedingungen zur Frage der Unterbringung und Versorgung breit diskutiert werden und es Verbesserungen geben wird. Wie das Votum des Gremiums ausfällt und ob das dann tatsächlich passiert, ist völlig unklar.“

(Quelle: Verschiedene Medienberichte, Interview mit Frau Lüdeke-Braun vom Diakonischen Werk und Website des Flüchtlingsrates, siehe auch mein Text vom Dez.)